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Erfolgreich das alte Pferd von hinten aufgezäumt


Über Fender Vintage-Reissue Serien

Ein genauerer Blick auf die bunte Fender-Historie macht klar, dass die verschiedenen Vintage-Reissue Serien des Herstellers eine größere Bedeutung für die erfolgreiche Company hatten, als nur jeweils eine neue Serie der alten Klassiker aufzulegen. Vielmehr markierten vor allem anderen gerade diese Serien bei ihrem Erscheinen immer einen markanten Wendepunkt in der bewegten Geschichte dieses Herstellers. Beamen wir uns doch einmal gemeinsam in die 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück.

Die 2014er Vintage-Reissue Riege
Die 2014er Vintage-Reissue Riege

1980 bestand das Fender-Programm aus zehn verschiedenen E-Gitarren — Telecaster, Telecaster Custom, Telecaster Deluxe, Stratocaster, Starcaster, Mustang, Musicmaster, Lead, Jazzmaster und Bronco. Die Verarbeitungsqualität war über die Jahre erfolgreich in den Keller gefahren worden, sodass CBS 1981 u. a. Bill Schultz, Roger Balmer und Dan Smith engagierten, um die Produktion auf einen besseren Stand zu bringen. Eine der Ideen dieser neuen, fähigen Leute war, sich einfach mal selbst zu kopieren  -  und eben die Gitarren nachzubauen, für die Musiker und Sammler auf der ganzen Welt bereit waren, mittlerweile richtig hohe Summen zu zahlen. Gemeint waren natürlich die alten Fender Modelle aus den goldenen Zeiten des E-Gitarren-Baus, den 1950er und 1960er Jahren. 

Seit 1980 hatte Freddie Tavares, noch ein Fender-Mitarbeiter aus den ganz alten Tagen, bereits an dem Konzept einer Vintage-Neuauflage der ’52 Telecaster gearbeitet — ein erster Prototyp war 1981 auf der Summer-NAMM-Show sogar schon gezeigt worden. Dan Smith, der einen Monat nach dieser NAMM-Show seine Arbeit bei Fender aufnahm, beschreibt diese Gitarre so: „Diese sogenannte ’52 Telecaster hatte eine dicke Polyester-Lackierung und neben einer unkorrekten Korpusform etliche andere Features, die aber auch gar nichts mit dem Original zu tun hatten.“ Folgerichtig ging diese erste Vintage Reissue nicht in Produktion; erst nach intensivem Research & Development hatte man das Konzept für ziemlich authentische ’52 Telecaster, ’57 und ’62 Stratocaster-Neuauflagen fertig und wollte diese Serie ab 1982 produzieren — und zwar parallel von Fender USA und der neu gegründeten Tochterfirma Fender Japan. Letztere sollte aber nur den japanischen Markt beliefern.

1952 USA Reissue Telecaster
1952 USA Reissue Telecaster

Doch während in Japan bei Fujigen, wo die "alten" Fender-Gitarren gebaut wurden, bereits auf Hochtouren an dem neuen Konzept gearbeitet wurde, kam das amerikanische Werk, das an erheblichen strukturellen Mängeln in der Produktion litt, längst nicht so schnell und reibungslos in die Gänge. So kam es, dass noch bevor die amerikanische Produktion überhaupt gestartet war, die Fender-Verantwortlichen in den USA die ersten Reissue-Modelle aus Japan als Muster erhielten - und tief beeindruckt von der gebotenen Qualität waren! 

made in japan

Als dieser überraschend positive Eindruck innerhalb des Fender-Netzwerks die Runde machte, forderten die europäischen Vertriebspartner Fender USA mit deutlichen Worten auf, diese günstigen, japanischen Vintage-Neuauflagen auch auf den westlichen Markt zu bringen, um auch hier gegen die günstigen Gitarren anderer Japan-Hersteller konkurrieren zu können. Fender Europa wurde erhört, und Fender Japan baute nun 1982 auch für die europäischen Fender-Vertriebe günstige Tele- und Strat-Reissue-Modelle. Die trugen anfangs in ihrem Logo ein kleines „Squier Series“, später dann das große "Squier". Damit war die Fender-Marke Squier geboren, die - wir erinnern uns gerne - wie eine Bombe auf dem Markt einschlug und bis heute, fast 40 Jahre nach ihrem Erscheinen, nichts an ihrer Strahlkraft verloren hat.

 In den USA war Ende 1983 die Produktion immer noch nicht auf Touren, sodass Schultz, Smith & Co. entschieden, dass Fender Japan nun nach dem europäischen auch noch den amerikanischen Markt beliefern sollte. Sie orderten von Fujigen nun Telecaster und Stratocaster im 70er-Jahre-Stil. Die japanische Produktion erhielt Fender in diesen Tagen regelrecht am Leben, und erst recht dann, als 1985 CBS die Firma für 12,5 Millionen Dollar an eine Investorengruppe um Bill Schultz verkaufte. Denn die Fender/CBS eigene Fabrik in Fullerton war nicht Teil dieses Deals, was bedeutete, dass die amerikanische Produktion im Februar 1985 gestoppt wurde, um eine neue Produktionsstätte zu finden, diese einzurichten und in Gang zu bringen. Jede Gitarre, die der Fender-Katalog von 1985 zeigte, stammte also aus Japa;, mehr als 80 % aller Gitarren, die Fender USA von Ende 1984 bis Mitte 1986 verkaufte, waren japanischen Ursprungs. Dass diese trotzdem mit "Made in USA" gelabelt waren, ist das Ergebnis typisch amerikanischer Logik.

Das Vintage-Reissue Programm von Squier
Das Vintage-Reissue Programm von Squier

 Parallel zu der Produktion in Japan stellten Schultz und seine Männer eine neue Fabrik in Corona auf die Beine und begannen Ende 1985, wieder USA-made Instrumente zu produzieren. Die ersten Gitarren, die dort vom Band liefen waren - fast hätte man es ahnen können - Vintage-Reissue Modelle, und zwar „weniger als zehn Stück am Tag,“ wie sich Dan Smith erinnert. „Wir hatten immer noch Fujigen in der Hinterhand, die ca. 10.000 Instrumente im Monat für uns bauten, und wir dachten damals, das könnte eigentlich immer so weitergehen. Aber als der Dollar schwach und der Yen stark wurde, änderte sich alles …“

Ende 1986 war der Dollar gegenüber dem Yen tatsächlich nur doch die Hälfte von dem wert, was er 1984 wert gewesen war; somit wurden die japanischen Gitarren zu teuer für den westlichen Markt. Fender verlegte die Squier-Produktion nun nach Korea, später dann nach China und Indonesien -  aber das ist eine andere Geschichte.

vintage als wegweiser in die zukunft

USA Vintage-Reissue Serie von 2014/15
USA Vintage-Reissue Serie von 2014/15

 Sowohl die japanische als auch die amerikanische Vintage-Reissue Serie begründete jeweils den Anfang einer neue Ära von Fender, in der einschneidende Maßnahmen vollzogen wurden, um das ins Schlingern geratene Schiff wieder auf Kurs zu bringen:

• So waren die Instrumente der japanischen Fender/Squier-Generation ab 1982 die allerersten Fender-Produkte, die in Fernost gebaut wurden! Sie legten damit den Grundstein für das internationale Engagement des Herstellers, der heute längst in mehreren Ländern und für alle Preisklassen gestaffelt produziert.

• Die amerikanische Serie stellte 1986 den Beginn der neuen Fender-Ära dar, die den dunklen CBS-Jahren nachfolgte. Sie war die Ausgangsbasis und die solide Grundlage für den erfolgreichen, wirtschaftlichen Höhenflug, von denen die Verantwortlichen damals nicht mal zu träumen gewagt hatten.

jetztzeit

Seit Jahren schon hat Fender sein Angebot an verschiedenen Vintage-Reissue Serien sehr ausgefeilt strukturiert. Es passt sich nicht nur den unterschiedlichsten Geldbeuteln an, sondern ist längt das wichtigste Standbein in den jeweiligen Fender-Produktionsstätten. Die günstigste Schiene wird von der hauptsächlich in China und Indonesien gebauten Squier Classic-Vibe Serie bedient, während in Mexiko die Classic Serie hergestellt wird. In den USA, immer noch in Corona, baute man lange die USA, und dann American Vintage Series, während heute das Attribut "Vintage" in der Namensgebung weggefallen ist und die nach alten Specs gebauten Instrumente nun "American Original" heißen. Das Angebot ist überraschend klein, sicherlich ein Anzeigen dafür, dass man dem Vintage-Konzept für die US-Serie der normalen Produktion ausgenommen Custom Shop keine so große Bedeutung mehr beimisst, wie das einmal gewesen war. So gibt es pro Instrumententyp je ein Modell aus der jeweiligen Phase - also 50s und 60s Stratocaster, 50s und 60s Telecaster, 60s Tele Thinline, 70s Tele Custom etc., eine durchaus sympathische Auswahl, wie ich finde. Weitaus mehr werden die Instrumente der neuen Vintera Serie wahrgenommen, die zwar optisch wie Vintage Reissues erscheinen, aber in vielen konstruktionellen Eigenschaften der Neuzeit ihren Tribut zollen. Macht durchaus Sinn, dieses Konzept, zumal die Vintera Serie in Mexico gebaut wird und in einem günstigeren Preissegment als die American-Original Serie zu Hause ist. 

 

 

American Original 50s Telecaster
American Original 50s Telecaster
American Original 60s Thinline Telecaster
American Original 60s Thinline Telecaster
American Original 70s Telecaster Custom
American Original 70s Telecaster Custom
American Original 60s Telecaster
American Original 60s Telecaster

American Original 60s Stratocaster
American Original 60s Stratocaster
American Original 50s Stratocaster
American Original 50s Stratocaster
American Original 60s Jaguar
American Original 60s Jaguar
American Original 60s Jazzmaster
American Original 60s Jazzmaster

Made in Japan 60s Jazzmaster
Made in Japan 60s Jazzmaster

Custom Shop

Ein ganz anderes Thema stellt der Fender Custom Shop dar. Der bietet innerhalb seiner Serien-Palette gleich zwei Reihen an, die sich konkret und kompetent mit dem Thema Vintage auseinandersetzen:

• In der populären Time-Machine Serie werden vier verschieden stark "gealterte" Varianten angeboten: NOS (new old stock), Closet Classic,  Relic und Heavy Relic. Die Instrument der Time-Machine Serie werden nach Origina-Vintage Specs gebaut und dann gekonnt auf alt und gespielt getrimmt. Diese Serie begründete damals bei Erscheinen den Trend, Gitarren so zu behandeln, dass sie nach 40 Jahren Rock ´n Roll aussehen. Die Musiker waren begeistert, die meisten Firmen zogen mit "aged", "distressed" und anders benannten, optisch ziemlich alt aussehenden Konzepten nach.

• Die Vintage-Custom Serie bringt einzelne, spezielle Modelle aus der Fender-Vergangenheit, die getreu den Vintage Specs gebaut werden. Hier findet sich z.B. die 57er Stratocaster Mary Kaye, eine 62er Strat mit maple-cap Hals, eine 58er Top-Load Telecaster etc.

Fender Custom Shop 63 Relic Stratocaster
Fender Custom Shop 63 Relic Stratocaster

weiter geht´s

 In der Vergangenheit hat Fender mit seinen Vintage-Reissue Serien das seltene Kunststück geschafft, immer das Pferd von hinten aufzuzäumen und es erfolgreich nach vorne durchstarten zu lassen. Vor allem gelang es Fender jedesmal, mit diesen Serien einen großen Trend zu entfachen, der die Musiker*innen auf der ganzen Welt beeindruckte und begeisterte, und der gleichzeitig das eigene Vintage-Erbe nicht beschädigte. Ganz im Gegenteil: Durch die Reissue-Serien scheinen die immer seltener angebotenen "echten alten" Instrumente noch einmal zusätzlich aufgewertet zu werden.

Das heutige Angebot in Fenders Vintage-related Programm wirkt hingegen etwas halbgar. Wenn wir den Custom Shop, der nach wie vor stark auf den Faktor Vintage setzt und damit trotz zum Teil ungeheurer Preispolitik sehr erfolgreich ist, einmal außen vor lassen, kommt von der regulären USA-Produktion wie oben beschrieben nicht mehr viel. Wobei durchaus positiv zu vermerken gilt, dass hier die zurzeit beliebten Offset-Klassiker Jaguar und Jazzmaster auch mit je einem Modell vertreten sind. In den günstigeren Herstellungsländern wie Mexico und Fernost ist das Vintage-Angebot deutlich größer, das authentische Vintage-Konzept aber stark verwässert.

Wem das nicht reicht, dem bleibt wohl nichts anderes übrig als geduldig abzuwarten, bis sich der kalifornische Hersteller wieder in eine Flaute manövriert hat und dann seinen bekannten Rettungsanker in Form dieser guten, alten Serien auswirft.


buchtipp

Squier Electrics, von Tony Bacon

Über Fender sind 1001 und mehr Bücher geschrieben worden, über Squier meines Wissens nach jedoch nur eins. Wer mehr über diese mehr als interessante Marke wissen will, dem sei dieses Buch also sehr ans Herz gelegt:

“SQUIER ELECTRICS — 30 Years of Fender´s Budget Brand” von Tony Bacon. Ca. 22 €.


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